Böse Charaktere spielen?

Frage: Ich weiß noch nicht genau was ich spielen will – ich klopfe gerade noch Möglichkeiten ab. Da ich bisher meistens rechtschaffen gute Charaktere gespielt habe, will ich dieses mal entweder chaotisch oder rechtschaffen böse sein.

SL: Böse Gesinnungen bei Spielern lasse ich normalerweise nicht zu. Da muss es schon einen sehr überzeugenden Charakterhintergrund geben, der sich reibungslos in die Story einfügt. Oder die ganze Gruppe muss sich einig sein, als böse Truppe zu agieren. Dann ist es aber schwierig, passende Abenteuer zu finden, weil es ja normalerweise Ziel ist, gegen die bösen Jungs zu kämpfen.

Frage: Gut zu wissen, dass du normalerweise nicht alle Gesinnungen zulässt – dann sollte ich mir schnell eine passende Storry auszudenken.

SL: Außer böse darf man bei mir grundsätzlich erst mal alles spielen. RG, NG, CG, RN, N oder CN. Wobei die Gesinnungen schon irgendwie zu den Zielen des Abenteuers passen sollten; zum Beispiel muss man sonst ziemliche Mühe darauf verwenden, glaubwürdig zu begründen, warum chaotische Spieler sich selbstlos für die Rettung eines auf Rechtschaffenheit fußenden Königreichs aufopfern sollten. Dagegen würden sie die ideale Besetzung in einem Abenteuer sein, in dem es um die Befreiung von einem bösen Tyrannen geht. Ich habe genug Spielideen parat, um mich auch an den Vorlieben der Spieler ausrichten zu können. Aber ich versuche schon, mehr oder minder subtil, bei der Erschaffung der Charaktere eine bestimmte Tendenz zu schaffen, die zu meinen Plänen passt 😉
Wenn die Unterschiede innerhalb der Gruppe aber zu extrem sind (z.B. wenn der RG Paladin und der CN Schurke zusammenarbeiten sollen), dann kann das zwar eine hervorragende Bühne für exzellentes Rollenspiel sein, endet in den meisten Fällen aber in internen Reibereien, die auf die Dauer nervend und ermüdend sind, so dass der Spaß auf der Strecke bleibt.
Hast du dich auch schon mit Chapter 4 des PHB beschäftigt? Die darin beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale und Hintergründe zu verstehen, waren für mich eigentlich am ganzen D&D 5 am schwersten zu verstehen, wenn man von 3.5 kommt.

Frage: Ich habe es mir angeschaut und sehe es als Leitfaden, dem Charakter Tiefe zu geben. Spricht denn etwas dagegen, den Makel (Flaw) zu „benutzen“, um einen rechtschaffen bösen Charakter in eine „gute“ Laufbahn zu zwingen?
Oder ein Ansatz wie: „Wir haben dich gefasst. Arbeite für uns oder stirb.“ Dazu kommt ein Aufpasser, dem man unterstellt ist und die Rechtschaffenheit bindet einen dann, das gegebene Wort zu halten.

SL: Für mich sind die Persönlichkeitsmerkmale und Hintergründe DIE entscheidende Weiterentwicklung von früheren D&D Versionen. Daher betrachte ich es nicht als netten, optionalen Zusatz, sondern als absolutes Muss für jeden Charakter (sowohl SC, als auch für wichtige NSC). Tatsächlich soll es den Charakteren Tiefe geben, für die Spieler Ansätze fürs Rollenspiel bieten und für eine Verflechtung der Charaktere mit der Story sorgen. Letzteres heißt, ich muss als Spielleiter unbedingt eure Persönlichkeitsmerkmale kennen und sollte die Abenteuer so gestalten, dass eure Ziele ein Teil der Herausforderung werden und umgekehrt eure Makel zusätzliche Hindernisse ins Spiel bringen.
Makel und auch Ideale können und sollten, wenn man sie als Spieler ernst nimmt, jemanden dazu „zwingen“, gegen besseres Wissen zu handeln. Damit bekommt endlich ein wichtiges Story-Element einen regeltechnischen Rahmen. Wie oft habe ich während Rollenspielabenden schon den Satz gehört „eigentlich müsste mein Charakter jetzt dies oder jenes tun, aber dann würde ich ja den Kampf verlieren/den Schatz nicht finden/den Boss-Gegner entkommen lassen, also tue ich stattdessen das aus Spielersicht vernünftigere“.
Mit Idealen, Bindungen und Makeln wird aus einem rein ergebnisorientierten D&D Abenteuer, um Erfahrungspunkte und virtuelles Gold zu erlangen, plötzlich eine Geschichte mit Tiefgang. Jeder Krimi, Western oder SF-Film verwendet doch das Thema, dass der Held das große Ziel nicht im ersten Versuch erreicht, weil ihn ein Aspekt seiner Persönlichkeit davon abhält. Du kennst sicherlich genug eigene Beispiele dafür.
Also, es wäre durch gutes Rollenspiel selbstverständlich möglich, einen bösen Charakter dazu zu zwingen, auf der guten Seite zu kämpfen. Zumindest scheinbar. Denn dieser Zwang wird den Bösen nicht gut machen, sondern ihn nur gut handeln lassen, so lange der Zwang aufrecht erhalten wird. Gleichzeitig wird ein Bösewicht, der diesen Namen verdient, alles dafür tun, den Zwang abzuschütteln. Allein diese kurze Überlegung zeigt schon auf, was für ein gewaltiges Potential für Rollenspiel und überdurchschnittliche Story-Entwicklung darin steckt.
In deinem Beispiel wird der in die Wache gepresste Schuft sicherlich versuchen, den Aufpasser umzulegen, zu bestechen oder zu bezaubern. Denn Rechtschaffenheit ist nur ein Aspekt einer Persönlichkeit, keine realistische Person ist so eindimensional. Das Credo der rechtschaffen bösen Gesinnung ist ja: buckle nach oben, trete nach unten, und strebe danach, die über dir stehenden auszuschalten, um deren Position einzunehmen.
Um den Makel einer anderen Person auszunutzen, müsstest du diesen natürlich auch erst mal kennen. Das setzt wiederum voraus, dass man sich in die Story vertieft und in seiner Rolle versucht, Informationen über den anderen zu erlangen. Umgekehrt wird jeder vernünftige Charakter so gut es geht versuchen, seine Makel geheim zu halten, damit man sie nicht ausnutzen kann.

Frage: Ich kann jeden aufgeführten Punkt verstehen, verstehe aber leider nicht, was jetzt die Kernaussage zum bösen Charakter sein soll.

SL: Die Hauptaussage war die Antwort auf deine Frage, ob man einen rechtschaffen bösen Charakter in eine „gute“ Laufbahn zwingen kann. Meine Meinung: nein, man kann ihn nur dazu zwingen, (vorübergehend) „gute Taten“ zu vollbringen, er wird trotzdem böse bleiben.

Frage: Dass er blöse bleibt, ist klar, die Frage war, ob es ausreicht, um ihn als bösen Charakter in die Gruppe zu integrieren?

SL: Ich denke, wenn man die böse Gesinnung ernsthaft ausspielt, würde das Ausnutzen eines Makels dazu führen, dass der Charakter sich der Gruppe anschließt, ohne seine tatsächlichen Ziele und Pläne aufzugeben. Auch eine zeitweilige Allianz ist denkbar, wenn sich seine Ziele und die Ziele der Gruppe decken oder ergänzen; hierfür gibt es ja genügend Beispiele in Literatur und Film. Aber bestenfalls würde ein böser Charakter die Gruppe verlassen, sobald das Dabeibleiben ihm keine Vorteile mehr bringt, garantiert wird er heimlich seine eigenen Pläne verfolgen und schlimmstenfalls würde er die Gruppe von innen spalten und die Kontrolle übernehmen oder sie in einen Hinterhalt führen. Eine Integration halte ich für ausgeschlossen – wenn man die böse Gesinnung erst nimmt und nicht nur als ein Etikett ansieht, das dem Charakter angeklebt wird.

Frage: Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob/wie ich die Gesinnung planen darf – und ich möchte das eigentlich nicht am Tisch klären – die Gruppe muss ja nicht alles wissen.

SL: Den besten Grund gegen böse Charaktere hast du eben selbst genannt: „die Gruppe muss ja nicht alles wissen“. Und was passiert, wenn es die Gruppe später erfährt? Ich habe in all den Jahrzehnten D&D nicht einmal erlebt, dass so etwas gut ausgegangen wäre.
Das ist aber nur einer von vielen Gründen, die gegen böse SC sprechen. Daher brauchen wir nicht weiter diskutieren. Nein, du darfst keinen bösen Charakter spielen.

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