Steinklinge (Teil 1a)

Die Abenteurer verbrachten den Winter mehr oder minder erfolgreich mit verschiedenen Aktivitäten. Tanner zog im Februar sogar in die Stadt, um eine anständige Unterkunft zu haben. Dort erreichte ihn zum ersten Mal in seinem Leben ein Brief.

Lieber Bruder, ich habe gehört, dass du in Silbereschingen bist. Mich hat es nach Steinklinge verschlagen, einem kleinen Dorf in den Bergen. Es ist nur fünf oder sechs Tage von dir entfernt, wenn man über Michelburg reist, und ich würde mich freuen, wenn du mich besuchst. Denn ich habe ein Problem und könnte deine Hilfe gebrauchen. Es ist ein großes Problem, darum darfst du gerne ein paar Freunde mitbringen. Ich gebe auch allen einen aus. Deine dich liebende Schwester Adana

Krobby, der in der Stadt in einem kleinen Theater auftrat, schloss sich ihm sofort an. Talaviel war leider krank geworden. Yorman wollte zwar mitkommen, wurde auf dem Weg zur Stadt aber aufgehalten. Variel war irgendwo unauffindbar in den Wäldern. Also zogen der Halb-Ork zu Pferde und der Goblin auf einem Reithund zu den ehemaligen Silberminen und holten Hal ab, der dort im Labor der Duergar versuchte, die Formel für einen umweltschonenden Abbau des Silber zu finden – bislang erfolglos.

Nachdem auch der Gnom einen Reithund besorgt hatte, reisten sie in Richtung Norden nach Michelburg, das Krobby von früher schon kannte. Der Ort war vor allem von Zwergen und Menschen bewohnt, unter denen sich ein paar wenige Kerle befanden, die außergewöhnlich groß und breit waren. Halb-Riesen, wie sich bald herausstellen sollte. Im einzigen Gasthaus in Michelburg sorgte Krobby mit einem spontanen Auftritt für Furore und durfte wieder mal umsonst essen und übernachten. Hal kam derweil mit ein paar Bergleuten in Kontakt, die von einem gewissen Gorm Steinbrecher erzählten, der eine Methode gefunden hatte, Silberverbindungen aus dem Erz zu lösen. All seine Aufzeichnungen und Geräte lägen aber noch in der Teufelsmine, in die sich aber niemand mehr hinein traut, seit man den alten Gorm dort tot mit blau angelaufenem Gesicht herausgeholt hatte. Ein Zwerg namens Karli bot Hal an, ihn zur Teufelsmine zu führen.

Tanner und Krobby hörten sich um, wie man am besten nach Steinklinge kommen konnte. Andres, der Wirt erklärte ihnen, dass es zwar einen oft begangenen Pfad gebe, der aber schwer zu finden und sehr anstrengend zu begehen sei. Sie sollten sich lieber einen erfahrenen Führer nehmen, denn man könne sich leicht verirren und gelange in gefährliches Gelände. Die besten Führer seien die Halb-Riesen, denn sie lebten in unzivilisierten Stämmen in den Bergen und kannten sich deshalb sehr gut aus. Die jungen Männer verließen traditionsgemäß den Stamm, um sich zu bewähren, bevor sie zum vollwertigen Krieger wurden. Einen von denen, Rafu, empfahl Andres als Führer, weil der als Lastenträger den Weg nach Steinklinge schon oft gegangen war.

Pferde sollte man aber besser nicht mitnehmen, warnte Andres, denn in den Bergen lebten Wyverns, deren Leibspeise Pferde waren, so dass man sonst unweigerlich eine Begegnung mit den drachenähnlichen Bestien provozierte. Also ließ Tanner sein Pferd im Mietstall zurück.

Am nächsten Morgen war Hal verschwunden. Auch Karli hatte den Ort verlassen. Vermutlich waren sie zur Teufelsmine aufgebrochen. Tanner und Krobby waren schockiert, doch hatte Adanas Brief sehr dringlich geklungen, also ließen sie Gnom und Zwerg ziehen und brachen stattdessen mit ihrem Führer Rafu nach Steinklinge auf. Wenn man gute Kondition hatte, konnte man den Weg an einem einzigen langen Tag hinter sich bringen. Die drei entschieden sich aber, lieber auf Nummer sicher zu gehen, langsam aufzusteigen und auf halbem Weg zu rasten. Rafu kannte auch mehrere Stellen, wo man unter Felsüberhängen geschützt und sicher übernachten konnte.

Als die Sonne hinter den Bergen im Westen verschwand, bezogen sie in einer dieser flachen Höhlen ihr Nachtlager. In der zunehmenden Dunkelheit meinten sie, nur ein- oder zweihundert Meter weiter den Pfad hinauf den Schein eines anderen Feuers wahrzunehmen. Und als sie angestrengt lauschten, konnten sie das Schnauben von Pferden und das Klappern von Hufeisen auf Fels hören. Tanner beschloss nachzusehen, was da los war. Rafu und Krobby folgten ihm in sicherem Anstand, der Goblin auf den breiten Schultern des Halb-Riesen reitend.

Vorsichtig und versteckt schlich der Halb-Ork voran und als er um eine Felsnase bog, sah er seine Befürchtung bestätigt. In einer Felsnische waren zwei Tragpferde angebunden und eine hungrige Wyvern war bereits im Anflug. Der Entsetzensschrei eines Menschen zeigte, dass die Tiere nicht alleine waren.

Die Wyvern stürzte sich auf das erste Pferd und warf es nieder. Das zweite Pferd riss sich in Panik los und raste den Pfad hinab auf Tanner zu, der sich an die Felswand gepresst in Sicherheit brachte. Etwas weiter bergab ergriff Rafu das Zaumzeug des vorbeipreschenden Tieres, doch in blinder Panik und mit der Kraft der Verzweiflung schleifte es ihn mit. Sein Versuch, das Pferd zu beruhigen, war zwecklos, also gab Rafu die Zügel frei. Doch das Pferd streifte ihn, er geriet ins Stolpern und stürzte über die Klippe. Reflexartig konnte er sich an einen Felsvorsprung klammern. Der auf seinen Schultern sitzende Krobby wurde dabei aber abgeworfen. Erst einige Meter tiefer konnte auch er seinen Fall stoppen.

In der Gewissheit, dass ihm die Gefährten dicht folgten, legte Tanner den ersten Pfeil auf die Sehne. Sein Versuch, das Pferd mit einem Schuss von dem Seil, das es festhielt, zu befreien, endete aber damit, dass er stattdessen das Tier traf. So feuerte er seinen nächsten Pfeil direkt auf die Wyvern ab, musste aber feststellen, dass deren harte Schuppen nur schwer zu durchdringen waren. Unbeeindruckt streckte das Biest seine Beute mit dem Giftstachel nieder.

Eilig wollte sich Rafu nach oben auf den Pfad ziehen, doch ein brüchiger Stein löste sich, so dass Rafu stattdessen an Krobby vorbei stürzte. Glücklicherweise konnte er wieder Halt finden, um nicht auf die spitzen Felsen tief unter ihm zu fallen. Von dem schlechten Vorbild gewarnt begnügte sich der Goblin damit, sich an der Wand festzuhalten.

Derweil preschte das panisch flüchtende Pferd über das Geröll, dass Krobby beim mutwilligen Auslösen einer Lawine auf dem Pfad verteilt hatte, seine Hufe verloren den Halt, es schlitterte über die Felskante und verzweifelt wiehernd stürzte es zu Tode.

Noch immer glaubte Tanner, dass er bald Hilfe bekäme, und feuerte aus seiner Deckung heraus mit Pfeilen, die kaum Wirkung zeigten, während sich die Wyvern am Pferdefleisch gütlich tat. Schließlich gab der Jäger auf und zog sich zurück, um nachzuschauen, wo seine Kameraden blieben. Der Mensch, der sich in die Felsnische kauerte, jammerte über sein bevorstehendes Ende. Es war offensichtlich, dass die Wyvern ihren gröbsten Hunger bald gestillt haben und sich dann ihm zuwenden würde.

Eilig kletterte Rafu an Krobby vorbei, wickelte ein Kletterseil ab und ließ es zu dem Goblin hinunter. Der versuchte, sich daran hochzuziehen, rutschte aber fast ab, ehe er auf die Idee kam, die Füße gegen den Fels zu stemmen. Dann zog der Halb-Riese ihn hoch.

Mittlerweile war Tanner bei ihnen angekommen und als alle wieder festen Boden unter den Füßen hatten, zogen sie gemeinsam los, den Menschen zu retten. Mit einem Kampfschrei lenkte Rafu der Barbar die Aufmerksamkeit des Drachenwesens auf sich, so dass es von dem Pferdekadaver abließ, mit wenigen Schlägen seiner ledrigen Flügel die Distanz zu dem neuen Gegner überwand und ihn mit seiner krallenbewehrten Klaue packte.

Krobby schaffte es überraschenderweise, die Bestie zu bezaubern, doch sein Versuch, sie zum Lachen zu bringen, scheiterte an der Sprachbarriere. Tanner spickte das Monster mit Pfeilen, während dessen flexibler Schwanz mit dem tödlichen Giftstachel Rafu mehrmals nur haarscharf verfehlte.

Nun aber holte der Barbar mit seiner riesigen Keule aus und ließ sie so furchtbar auf den Rücken der Wyvern krachen, dass diese begann, um ihr Leben zu fürchten. Doch bevor sie abheben und fortfliegen konnte, streckte ein letzter Pfeil sie nieder. Rafu brach als Trophäe einige der langen, spitzen Zähne aus ihrem Rachen.

Der Goblin überzeugte den vor Todesangst zitternden Menschen, aus der Felsnische zu kriechen und sich soweit zu beruhigen, dass er seinen Namen Frieder nennen konnte. Frieder war Waffenhändler und hatte von Kilian, dem einzigen Händler in Steinklinge, eine große Bestellung über Pfeile und Bolzen erhalten. In der Bestellung war ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass der Auftrag sehr eilig war und Frieder deshalb nicht in Michelburg Rast machen sollte. Darum hatte ihn niemand gewarnt, die Pferde zurück zu lassen. Als Dank für sein Leben schenkte Frieder seinen Rettern seine Armschienen aus glänzendem Mithril.

Am nächsten Morgen packte sich Rafu, der es gewohnt war, schwere Lasten zu tragen, die dicken Bündel aus Bolzen und Pfeilen auf den Rücken und zu viert machten sie sich auf den zweiten Teil des Weges.

 

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